Wann hören wir auf, produktiv sein zu wollen?

Der erste Tag des Herbsts, dachte ich, als mir die kalte Septemberluft am Abend auf dem Rad ins Gesicht peitscht. Ich hab nur die dünne Baumwolljacke an, wer konnte ahnen, dass die Temperatur von über 30 auf 12 gerade innerhalb weniger Tage fallen würde? Ich versuche, mich auf die Umgebung zu konzentrieren, auch weil ich Angst hab, auszurutschen; unsere Fahrradreifen sind so schmal. Wir sind auf dem Weg ins Gym, J aus Routine, ich um mich abzureagieren. In eine bessere Stimmung zu kommen. Stress abzubauen. Schwere Gefühle loszuwerden. Nur im Moment zu sein. Weniger zu fühlen. Wie sich in 2h herausstellen wird, klappt das nicht. Ich frage mich wieso. Ich habe 20 Minuten auf dem Stepper verbracht, danach Brust und Rücken trainiert, mit einem Saunagang abgeschlossen und schließlich eiskaltes Wasser auf mich regnen lassen (kurz). J wartete draußen mit einem Schokoproteindrink, sich mit einem Coach unterhaltend. Ich fühle mich schrecklich. Zu unpassend für das Gym, aber auch einfach innerlich schrecklich. Das Workout hat das diesmal leider nicht verändert; die Gefühle bleiben (lang).

Der nächste Tag sieht anders aus. Ich wache endlich zeitiger auf bzw. unser neuer Wecker, damit wir die Telefone nicht mehr im Schlafzimmer haben müssen, schrillt mir entgegen. Ich snooze nur 2 statt wie gewöhnlich 10 Mal (hey, ich habe nicht gesagt dass ich perfekt bin und wir wollten doch ehrlich sein, oder?) und fühle mich in der Lage, aufzustehen. Vor J. Eine Seltenheit, dass er allein liegen bleibt. Ich schnappe mir leise den Hund, hole Croissants beim Bäcker, bin durch Training mit M eine gute halbe Stunde später zurück, die sich ewig anfühlt. Meine Magen meldet sich schon. Ich merke aber noch viel: Heute ist was anders. Es kann ein guter Tag werden (kann es das nicht jeden Tag? Und wenn’s keiner guter Tag wird, vielleicht ein guter Nachmittag oder Abend?). Ich bereite Frühstück vor, setze mich Stephen King lesend und auf J wartend auf die Couch. Und dann wird der Tag auch gut. Ich schaffe viel, was mich freut. Ich bin ✨ produktiv ✨. Ist es das? Ist es das, was ich brauche, um happy mit meinem Alltag zu sein? Sehne ich mich nur nach Routinen (ok) oder ist es ein Zwang nach Produktivität, etwas leisten (nicht ok, wenn ausschließlich)? Ich tippe auf Zweiteres. Frau F, meine Therapeutin, hat mir Spaß verordnet, als Gegensatz zu dem blöden Produktivsein. Aber Tage nur aus Spaß fühlen sich falsch an. Brauche ich das Gleichgewicht? Wem will ich was beweisen, wenn doch nur ich ich ich happy mit meinem Alltag und meinen Entscheidungen sein muss? Ich spür sie schon wieder, die Schwere der Welt auf meinen Schultern.

thoughts | einige Tage später

Wir laufen zum Bus, kühle Novemberluft schlägt mir entgegen. Ich ertappe mich bei Gedanken wie „Jetzt ist’s ja schon wieder dunkel, es ist gleich Abend, hab heut wieder nicht viel geschafft“. Solange ich diese Gedanken noch habe, bin ich nicht wirklich gesund, denke ich mir. Oder? Keine Ahnung, bin ja keine Ärztin. Versuche grad nur, mit meinem Alltag klarzukommen. Wieso ist das so? Wieso ist mein Daily Life, wo es doch so slowly seit der Krankschreibung läuft, trotzdem manchmal so viel?

Ich bin auf dem Weg ins Gym, nicht weil ich Bock habe oder keinen Muskelkater hätte, im Gegenteil, einfach für die Routine. Weil ich weiß, dass es mir guttut. Und auf die Sauna danach freue ich mich auch. Aber dennoch ist da der große große Drang, was schaffen zu müssen. Ich will, dass ich mir selbst genug bin, ohne was dafür zu leisten. Das klappt auch schon oft gut. Aber gleichzeitig schaffe ich es noch nicht, dabei nur an mich zu denken. Ich denke daran, wie es für andere wirkt (mein Leben; ich). Ob ich auch genug bin in dem Universum anderer, das nun mal noch von viel mehr Leistungsdruck geprägt. „Ich hab mein ganzes Leben lang geschuftet“, höre ich da die Worte meiner Oma in meinem Kopf.

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Wie du die Kraft des Koexistierens für dich nutzen kannst.

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Carmushka hatte recht: Alles ist in mir. 🪐